Schlagwörter

, , , , , , ,

Prinz Louis Ferdinand: Die Geschichte seines Lebens auf 362 Seiten.

Prinz Louis Ferdinand: Die Geschichte seines Lebens bis 1969 auf 362 Seiten.

Seine Kaiserliche Hoheit Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1907 – 1994) hat in seinen Lebenserinnerungen Die Geschichte meines Lebens (Göttinger Verlagsanstalt, 2. Auflage 1969) auch seine Einbeziehung in die Pläne der Attentäter vom 20. Juli 1944 geschildert. Aus Anlaß der 70. Wiederkehr des Versuchs zur Beseitigung Adolf Hitlers seien hier einige Passagen wiedergegeben:

Seite 295f
An einem Nachmittag im November 1939 suchte [Otto] John mich mit seinem Kollegen Dr. Klaus Bonhoeffer auf und schlug einen gemeinsamen Spaziergang im Grunewald vor. Sie teilten mir mit, daß sich General Halder, der Chef des Generalstabes, der Widerstandsbewegung angeschlossen habe. Auf die Frage, ob ich bereits sei, noch mehrere von ihren Gesinnungsfreunden kennenzulernen, stimmte ich zu. In der Folgezeit wurde ich durch John mit Hans von Dohnanyi, Dr. Julius Delbrück und Jakob Kaiser bekannt, dem späteren Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, der in jenem Kreise die Gewerkschaften vertrat, ferner mit Ernst von Harnack, dem ehemaligen sozialdemokratischen Regierungspräsidenten von Merseburg, mit Klaus Bonhoeffers Bruder Dietrich, der in der internationalen Bewegung der protestantischen Kirche arbeitete, mit dem früheren hessischen Innenminister und Gewerkschaftsführer Wilhelm Leuschner sowie mit Dr. Joseph Wirmer von der alten Zentrumspartei. …

Von den Männern, die ich hier genannt habe – es sind einige Namen von vielen, denen ich in jener Zeit im Widerstandskreis begegnet bin – , haben nur Otto John und Jakob Kaiser den 20. Juli 1944 überlebt. Sie alle wußten von Anfang an, daß sie ihr Leben aufs Spiel setzten und dessen war nach den ersten Gesprächen auch ich mir bewußt. Weil ich Umschweife nicht liebe, fragte ich sie rundheraus, warum ihnen bei ihren Plänen soviel an mir gelegen sei. Diese Frage hatten sie wohl erwartet, denn die Antwort kam prompt: man brauche ein stabiles, einigendes Element, auf das man schon vor der Aktion bauen könne, mehr noch aber für die erste Zeit nach dem Gelingen des Anschlages. Ich war überrascht, daß ihre Wahl gerade auf mich gefallen war. Sie begründeten es damit, daß ich sowohl den konservativeren Wehrmachtskreisen als auch den Gewerkschaften mit ihren fortschrittlicheren Tendenzen genehm sei. Jakob Kaiser und seine Leute argumentierten namentlich mit meinen Erfahrungen als Fordarbeiter und mit meiner freundschaftlichen Beziehung zu [US-Präsident Franklin] Roosevelt; bei der Wehrmacht hingegen legte man das Hauptgewicht darauf, daß ich der legitime Kronprätendent sei. …

Seite 298ff:

Eines Tages im Juli 1942 nun kam John in Cadinen an, und wir fuhren mit der Haff-Uferbahn nach Braunsberg, um Goerdeler abzuholen, der aus dem Zuge von Königsberg stieg. Im Abteil der Haff-Uferbahn waren wir nicht allein; daher heschränkten wir uns in unserer Unterhaltung auf Familienerinnerungen und die Schönheiten der Landschaft. Goerdeler trug einen dunkelgrauen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte und am Arm einen Trauerflor. Er war sonnenverbrannt, und seine lebhaften grauen Augen funkelten vor Energie. Voll Ingrimm sagte er mir, daß vor kurzem sein zweiter Sohn an der Ostfront gefallen sei, aber er war nicht ein vom Schicksal gebeugter Mann, sondern, obwohl schon weit über sechzig, auf der Höhe seiner physischen und geistigen Kraft. Vom ersten Augenblick an erkannte ich, daß er das beste Preußentum mit fortschrittlichen und international gefärbten Ansichten verband. Er schien viele Freunde im Ausland zu haben, besonders in England, sprach fließend Englisch und war auch oft in den Vereinigten Staates gewesen.

Um zu vermeiden, daß wir in Cadinen die Aufmerksamkeit der Dorfbevölkerung erregten, fragte ich Dr. Goerdeler, ob er etwas dagegen habe, wenn wir die anderthalb Kilometer vom Bahnhof bis zu unserem Hause zu Fuß gingen; sonst pflegten wir nämlich unsere Gäste mit Pferd und Wagen abzuholen. Goerdeler lachte über meine Vorsicht, hatte jedoch Verständnis dafür. Er war unter seinen Freunden als „leichtsinnig“ bekannt und wußte nichts von irgendwelcher Furcht um seine eigene Person. Meine Vorsicht erreichte, daß Goerdelers Besuch sogar auf meinem Gut unbemerkt blieb; wenn wir nicht allein im Zimmer waren, redeten wir ihn mit einem anderen Namen an.

In großen Zügen kannte ich Goerdelers Ideen aus zwei Memoranden, die John mir vorher zu lesen gegeben hatte. Das eine war ein allgemeiner Essay über die nationalsozialistische Ideologie, die er in Bausch und Bogen ablehnte; das zweite, eine sorgfältige Analyse der wirtschaftlichen Situation in den von Deutschland besetzten europäischen Ländern, versuchte nachzuweisen, daß der Krieg wegen der katastrophalen Ernährungslage spätestens im Winter 1943/44 verloren sein würde.

Gleich zu Beginn erkundigte sich Dr. Goerdeler nach meinen Beziehungen zur Wehrmacht und ihrer Führung. Ich konnte ihm fast nur Namen von Offizieren nennen, die schon kaltgestellt waren, darunter Feldmarschall von Bock und Generaloberst Hoepner, der sogar das Recht zum Tragen der Uniform eingebüßt hatte, weil er sich mit seiner Panzerarmee vor Moskau, um einer Einkreisung durch die Rotarmisten zu entgehen, ohne Hitlers Erlaubnis zurückgezogen hatte. Goerdeler erklärte die Aussichten für annehmbare Friedensbedingungen würden von Tag zu Tag schlechter, ein Friede sei überhaupt nur ohne Hitler möglich, andererseits wäre allein die Wehrmacht in der Lage, Hitler zu stürzen. Gleichwohl wollte er vermeiden, den Diktator zu töten; es war gegen seine christlichen Grundsätze, und er hielt es nicht für unbedingt notwendig. In den nächsten Wochen wollte er einige Armeeführer in ihrem Hauptquartier an der Front sprechen und sie zu einer Aktion überreden.

Im ganzen zeigte er sich nicht so pessimistisch wie General von Hammerstein. Wenn erst einmal von einigen ein Anfang gemacht und das Signal gegeben sei, meinte er, würden andere folgen. Was er sprach, klang logisch und überzeugend. Er ließ uns in hoffnungsvoller Stimmung und unter dem Eindruck einer starken und überlegenen Persönlichkeit zurück, die dem Posten eines künftigen Reichskanzlers voll gewachsen sei.

Hiervon und von der Zusammensetzung einer künftigen deutschen Regierung war jedoch bei unserem Gespräch nicht die Rede gewesen. Wir hatten lediglich unsere Übereinstimmung in den wichtigsten Punkten festgestellt, vielleicht mit dem einzigen Unterschied, daß ich etwas internationaler dachte als Goerdeler.

Gegen acht Uhr, als es schon dunkelte, brachten wir ihn im Wagen zu Bahnstation. Er fuhr allein über Braunsberg zurück.

Weder [Prinz Louis Ferdinands Ehefrau, Prinzessin] Kira noch ich werden diesen Besuch je vergessen. Ich traf Goerdeler nur noch ein einziges Mal, neun Monate später in Berlin. Im März 1943 bat mich Otto John unter einem geschäftlichen Vorwand dringend nach Berlin zu kommen. Die Situation der Verschwörer wurde immer schwieriger, je länger sie zögerten oder zögern mußten; Hitlers und Himmlers Mißtrauen wuchs sozusagen täglich.

Diesmal trafen wir uns nun im Hause des Vaters der beiden Brüder Bonhoeffer, des bekannten Psychiaters, der aber abwesend war. Außer Jakob Kaiser und Rechtsanwalt Dr. Wirmer war Ewald von Kleist anwesend, den ich bis dahin nicht kannte. Besonders er drang auf baldiges Handeln; die Frontgenerale schienen nicht den Mut zu einer Aktion zu haben, darum müsse man es mit dem Ersatzheer versuchen. Mit großem Nachdruck appellierten alle an mein vaterländisches Pflichtgefühl: ich solle als rechtmäßiger Kronprätendent das Signal für die jetzt noch unentschlossen zögernden Armeeführer und Generale geben. Ich erklärte mich zu einem solchen Schritt bereit, falls die Situation ihn nötig mache, hielt es aber für falsch, meinen Vater zu übergehen. Es war unmöglich aus Gründen der Legitimität und zum anderen unklug, weil General Beck dem Kronprinzen sehr ergeben war.

Bevor wir auseinandergingen, hatte ich in einem Nebenzimmer mit Jakob Kaiser eine Unterredung unter vier Augen. Jakob Kaiser zeigte ein tiefes Verständnis für meinen Gewissenskonflikt zwischen den Pflichten gegen mein Vaterland und der Loyalität gegenüber meinem Vater. Wir beschlossen, daß ich unverzüglich die Meinung des Kronprinzen erkunden solle. Während Herr von Kleist sich zu General Olbricht, dem stellvertretenden Kommandeur des Ersatzheeres, begab, fuhr ich zu meinem Vater nach Cecilienhof hinaus. Wir waren beim Abendessen miteinander allein. Mein Vater bemerkte mein ernstes und bekümmertes Gesicht und forschte nach, ob ich etwas auf dem Herzen hätte. Ich fragte ihn in behutsamer und verschleierter Form, ob er sein Ansehen und seine Popularität, die er von früher her bei den höheren und höchsten Offizieren der Wehrmacht besitze, in den Dienst des Vaterlandes stellen wolle, wenn dieses nur noch durch eine Aktion gegen Hitler gerettet werden könne. Die Frage mußte meinem Vater überraschend kommen; wir hatten uns seit Kriegsbeginn nicht allzuoft gesehen und noch weniger politische Gespräche geführt. Jetzt hörte mir mein Vater – das war einer seiner großen Vorzüge – geduldig und aufmerksam zu. Dann antwortete er, er habe sich allen derartigen Bewegungen ferngehalten, wolle auch in Zukunft nichts damit zu tun haben und rate mir, mich nicht auf solche Dinge einzulassen. Wußte er, daß sein Sohn schon tief in eben diese Dinge verstrickt war? Vielleicht ahnte er etwas und warnte mich deshalb mit solchem Nachdruck.

Am folgenden Nachmittag berichtete ich Otto John von der Unterredung. Kurz darauf kam auch Dr. Goerdeler dazu, er war recht niedergeschlagen: er hatte mit General Olbricht gesprochen, und dieser hatte ihm kategorisch erklärt, daß er im Augenblick nicht die geringste Möglichkeit für eine Aktion sehe. Unter diesen Umständen war jede autoritative Geste von meiner Seite sinnlos.

Zum Zeitpunkt des Attentats vom 20. Juli 1944 weilte Prinz Louis Ferdinand in Königsberg. Bei seiner Rückkehr auf sein Gut wartete die Geheime Staatspolizei bei ihm auf. Sein Verhör durch die Gestapo dokumentiert er in seinen Erinnerungen auf den Seiten 304ff. Daß er der Verhaftungswelle nach dem Anschlag entging, erklärt er im Schlußsatz dieses Kapitels:

„Das Wahrscheinlichste aber ist, daß meine Freunde vom 20. Juli trotz aller Folterung meinen Namen nicht preisgegeben haben, und daß ich meine Rettung dieser Freundestreue bis in den Tod verdankte.“